Der Radiobeitrag der Ö1 Themenwoche „Kindheit“, gibt einen kleinen Einblick in meine Arbeit als Trauerbegleiterin für den Verein Rainbows. Er behandelt was Kinder nach dem Tod eines nahen Angehörigen bewegt und wie man als Bezugsperson damit umgehen kann.
Ö1-Sendung „Lebenskunst“ vom 1.11.2020
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Sprecherin 1: Wenn Menschen auf einmal nicht mehr da sind. Der Tod eines nahen Angehörigen bewegt gerade auch Kinder. Wo ist der Opi jetzt und was macht er dort den ganzen Tag? Das sind nur einige der Fragen, die dann auftauchen und Eltern und Erziehende zum Teil ziemlich herausfordern können.
Sprecherin 2: Kindheit – eine Ö1 Themenwoche.
Sprecherin 1: Andreas Mittendorfer hat sich bei Kindern und Erwachsenen umgehört und den überkonfessionellen Verein Rainbows besucht, dessen Mitarbeiter*innen Kinder und Jugendliche begleiten, wenn sie um einen Menschen trauern, mit dem sie sehr verbunden waren.
Nicole: Hallo, Hereinspaziert!
Sprecher 4: Ein Wiedersehen! Nach gut einem halben Jahr treffen sich hier zu einem sogenannten Folgetermin die 5-jährige Ilvy, die mit ihrer Mutti kommt, und die Rainbows-Trauerbegleiterin Nicole Müller wieder.
Nicole: Hallo, Ilvy. Hallo. Du kennst dich ja aus. Genau.
Sprecher 4: Hier in ihren Praxisräumlichkeiten in Wien Nicole Müller, die Mal- und Gestalttherapeutin, die eben auch für Rainbows arbeitet, hat von Dezember bis März in mehreren Treffen die kleine Ilvy begleitet, nach dem Tod ihres Opas oder eigentlich schon seit kurz davor, als dieser bereits sehr krank war. Hier bei diesem Zusammentreffen wird vieles nochmals erinnert. Ilvy hat auch ihre bunt bemalte Erinnerungsbox mitgebracht. Auch Fotos von gemeinsamen Urlaubstagen in Murau in der Steiermark sind dabei.
Ilvy: Und hier ist es genau auch in Murau. Da bin ich auch noch ganz klein.
Nicole: Genau da sitzt du auf den Schultern des Opas, und der Opa lacht.
Ilvy: Ja, der hat sich immer gefreut, wenn wir in der Steiermark waren.
Sprecher 4: Die 5-Jährige erinnert sich sehr gern an ihren Opa. Da sie im Haus vis-à-vis wohnt, war sie auch sehr oft bei den Großeltern. Auch als ihr Opa schon sehr krank war, hat Ilvy das aus nächster Nähe mitbekommen. In ihrer Erinnerungsbox findet sich auch ein Bild, das Ilvy hier bei ihrer Rainbows-Trauerbegleiterin gemalt hat. Darauf sieht man, wie sie sich vorstellt, wo ihr Opa jetzt ist. Es zeigt ihn als Engel im Himmel.
Ilvy: Ich stelle ihn mir als Engel vor und dass er dann immer zuschaut. Oder er spielt mit anderen Leuten, die schon gestorben sind, und es gibt dort irgendwas Lustiges, was ihnen vielleicht Spaß macht.
Sprecher 4: Einen lieben verstorbenen Menschen gut verorten können und ihn gut erinnern, nennt Rainbows-Trauerbegleiterin Nicole Müller wesentliche Bereiche in der Trauerbegleitung bei Kindern und Jugendlichen.
Nicole: Weil wenn ich das Gefühl habe, dem Verstorbenen geht es gut, dann geht es mir auch gut, dann kann ich auch gut weiterleben. Und dann ist das etwas Tröstliches auch. Und ich kann auch in Verbindung mit ihm gehen, auf eine neue Art und Weise. Nicht mehr so, wie es vorher war. Aber auf eine gute andere Art und Weise kann ich dann trotzdem in Kommunikation und Verbindung sein.
Sprecher 4: Und damit nochmals zu Ilvys Vorstellungen, wo ihr Opa jetzt ist und wie es ihm geht.
Ilvy: Schau, er ist verbrannt, aber irgendwie glaube ich, dass die Seele im Himmel ist. Es glauben viele Menschen, da sind auch die Schmerzen vorbei und es ist, als ob er wieder gesund wäre und dass er tot ist und wieder irgendwie gesund. So denke ich das.
Sprecher 4: Im Blick auf Jenseitsvorstellungen legt man bei Rainbows Wert darauf, zu betonen, hier den Kindern keine bestimmten Vorstellungen überzustülpen. Man knüpft bei dem an, was sie etwa aus dem familiären Umfeld mitbringen, oder macht sich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach möglichen Antworten, so Trauerbegleiterin Nicole Müller, die hier auch auf entsprechende Bilderbücher verweist. Ganz grundsätzlich meint sie auf die Frage, was sich Kinder alles vorstellen, was nach dem Tod sein könnte.
Nicole: Das kann ganz verschieden sein. Viele sehen es als Wesen im Himmel. Andere sagen, sie sind schon bei Gott. Manche sehen den Verstorbenen im Weltall als Stern herunterleuchten. Manche schaffen sich einen paradiesischen Garten, wo es wie ein Schlaraffenland ist, wo es alles gibt und wo der Mensch auch all das machen kann, was er in seinem Leben gern gemacht hat. Und ja, manchmal haben sie auch das Gefühl, da ist nichts. Dann gibt es natürlich noch die Idee, dass der Mensch als etwas anderes wiedergeboren wird, als Tier oder als Mensch. Also das ist sehr breit eigentlich, kann man sagen. Im Volksschulalter ist oft diese Vorstellung im Himmel verbreitet.
Sprecher 4: Den Bereich Trauerbegleitung leitet bei Rainbows in Wien Doris Rosenmayr. Sie unterstreicht, dass man religiös und weltanschaulich offen arbeitet.
Doris Rosenmayr: Rainbows arbeitet überkonfessionell. Wir nehmen wirklich das, was von den Familien, speziell von den Kindern, kommt, und arbeiten dann damit. Wir bleiben auch immer als Trauerbegleiterinnen authentisch und sagen: „Ja, ich weiß es auch nicht. Ich stelle es mir so vor“, weil wir werden natürlich dann auch von den Kindern gefragt: „Was glaubst du?“
Sprecher 4: Und noch ein Aspekt ist für Rainbows zentral: Kinder nicht vor Krankheit und Tod lieber Angehöriger abzuschotten, freilich mit einer entsprechenden Vorbereitung, sagt Doris Rosenmayr. Das gilt auch für das Begräbnis.
Doris Rosenmayr: In aller Regel ist es wirklich gut, wenn die Kinder das auch erleben dürfen. Auch wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet und sie als Trauernde wirklich sieht und anerkennt. Es wäre irgendwie komisch, wenn das einem Kind nicht zugestanden wird. Wenn etwas Trauriges passiert, ist das die logische Konsequenz daraus. Das ist ja auch eine Fähigkeit, trauern zu können; wenn man ihnen das dann nicht zugesteht.
Ilvy: Fertig.
Sprecher 4: Und damit nochmals zurück zur 5-Jährigen Ilvy, die gerade ein Holzherz für ihren Opa rosa angemalt hat, es ist jetzt mit speziellen kleinen Schmucksteinen verziert. Jeder Stein ist eine Erinnerung an den Opa.
Ilvy: Er hat immer viele Witze gemacht.
Nicole: Ja, na bitte, dann nimm einen Stein für das Witze machen und einen Stein für das Spielen.
Sprecher 4: Die 5-Jährige Ilvy macht heute einen zufriedenen Eindruck, wenn sie an ihren Opa denkt. Damals, als er so krank war und dann gestorben ist, sei sie sehr traurig gewesen, erzählt sie. Ihre Mutter, Patricia, erinnert sich, dass Ilvy damals sehr still gewesen sei und auch schlecht geschlafen habe. Alles in einer Zeit, in der sie selbst gerade ihre zweite Tochter bekommen hatte und insgesamt viel los gewesen sei. Man habe zwar in der Familie viel über den Tod des Opas gesprochen und sich zuvor auch noch von ihm verabschieden können, meint Patricia. Dennoch habe sie noch mehr Unterstützung für Ilvy gesucht und eben bei Rainbows gefunden. Heute meint sie rückblickend:
Patricia (Mutter): Ich blicke unheimlich gern darauf zurück und die Dinge, wie auch sie, sind zur Ruhe gekommen. Und das ist etwas, was bei Ilvy so wichtig ist. Der Tod ist da, der Opa nicht mehr. Und das ist jetzt gegeben, und jetzt kann sie ihren Weg weitergehen.
Sprecher 4: Und damit verabschieden sich hier auch Ilvy und ihre Mutti wieder von Rainbows-Trauerbegleiterin Nicole Müller.
Ilvy: Tschüss, Nicole.
Sprecher 8: Wünsch dir auf jeden Fall ganz viel schöne Zeit, Babatschi.
Ilvy: Tschüss!
Sprecher 1: Ein Beitrag zur Ö1 Themenwoche Kindheit von Andreas Mittendorfer.
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